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Mensch & Technik

Orwell hatte Recht – Herr Zuckerberg, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!

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"Schade, dass keiner mehr fragt, ob das etwas bringt", schreibt die Ressortleiterin Digital der "ZEIT". Es geht um Verbote (und ob diese etwas bringen), mit denen Kinder vor den Abgründen der (a)sozialen Netzwerke bewahrt werden. Schade, dass die Ressortleiterin scheinbar gar keine Ahnung hat.

Montagmorgen, 6 Uhr: Ich lese auf zeit.de, einen Artikel von Lisa Hegemann, der Ressortleiterin Digital. Es geht um den Schutz von Kindern in den sozialen Medien, der in einem neuen Buch thematisiert wird. Es soll laut der Autorin "erklären, wie von Technologie überforderte Erziehungsberechtigte ihren Nachwuchs trotz des bösen Smartphones zu fähigen Erwachsenen erziehen". Ich kenne das Buch und dessen Inhalt nicht. Glaube ich in diesem Punkt der Digital-Chefin der "ZEIT", soll dies überwiegend mit Verboten erreicht werden.

Fassen wir einmal zusammen, um welche Gefahr es geht. Die sozialen Medien haben nur einen einzigen Zweck, der auch in den Geschäftsunterlagen verbrieft ist. Das Ausforschen und Manipulieren von Nutzern, um mit den gewonnenen Erkenntnissen Werbung zu verkaufen. Je länger ein Nutzer auf der Plattform verweilt, desto mehr Werbung kann ausgespielt werden. Relativ simpel und logisch. Und wie halte ich die Nutzer auf meiner Plattform? Am besten mit Unfällen, bei denen niemand wegschauen kann. Wie diese "digitalen Unfälle" zwischen all den schönen Urlaubsbildern und "Selfies" aussehen, ist inzwischen vermutlich jedem bekannt. (Lebensgefährliche Mutproben, Magersucht und andere Krankheiten, Hass und Hetze sowie Kindesmissbrauch bis hin zur Misshandlung in Form körperlicher und/oder seelischer Gewalt ...)

Dank der Algorithmen, die erkennen, an welcher Stelle ich langsamer werde und mir die Inhalte genauer anschaue, bekommt jeder Nutzer mehr vom Gleichen zu sehen. Das funktioniert so gut, dass sich erwachsene Menschen das professionelle Ausdrücken von Riesenpickeln als Abendprogramm geben. Die Unfälle, wo man nicht wegschauen kann oder will. Unfassbar.

Demütig, demütiger, am dämlichsten – Autor ohne Ahnung

Zurück zu den Verboten aus dem Buch und dem Artikel der Digital-Chefin der "ZEIT". Demnach sollen Kinder unter 16 Jahren kein eigenes Smartphone, kein TikTok, kein Instagram, kein Snapchat, kein Twitter (X) und kein Discord haben. Kinder sollten auch keine Apps ohne die Zustimmung der Eltern auf ihr Smartphone oder Tablet herunterladen können. Dem kann ich nur zustimmen. Die Autorin fragt jedoch, "wovor man die Kinder noch mal schützen wolle?". Wie man die Alterskontrolle technisch ohne den Ausweis durchsetzen kann? Ganz einfach: Kinder sollten vor zu viel Zeit in den sozialen Medien und den damit verbundenen Risiken – wie dem Anschreiben durch fremde Erwachsene, die sich als Kinder ausgeben, dem Aufsaugen falscher Schönheitsideale, Scams, Desinformationen usw. – geschützt werden.

"Demütig" weist Lisa Hegemann darauf hin, dass diese Probleme unterschiedlich ausgeprägt seien und entsprechend unterschiedliche Lösungsansätze benötigen würden. "Noch demütiger" möchte sie darauf hinweisen, dass Kinder infolge der Verbote heimlich in den (a)sozialen Netzwerken unterwegs wären und die Eltern eben genau nicht in seltsame Vorkommnisse einweihen würden. Selten habe ich solch einen Blödsinn einer vermeintlichen Digital-Expertin gelesen. Eltern könne man, so Hegemann, nicht verbieten, ihren Kindern alles zu verbieten. Dann schreibt sie von "diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten" in denen "haben nämlich immerhin Verbotswünsche Konjunktur". Was soll der Schutz von Kindern mit wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu tun haben? Okay, ich muss nicht alles verstehen, aber ich werde trotzdem zum Gegenschlag ausholen.

Gut gemeint bedeutet nicht gut gemacht – gut gemacht aber schon

Zuallererst: Sicherheitseinstellungen auf dem Smartphone, Tablet oder PC richtig umgesetzt, erlauben Kindern keinen Zugriff auf soziale Netzwerke, gewaltverherrlichende, pornografische oder sonstige kindergefährdende Inhalte. Dazu muss man aber wissen, was man tut und wie es funktioniert – auf den Endgeräten, dem heimischen Router und allem, was dazu gehört. Bis heute kann aus meinem Netzwerk weder über den Browser noch über die zugehörigen Apps auf Facebook, Instagram, TikTok und Co. zugegriffen werden. Unser Sohn konnte auf seinem Smartphone bis zu seinem zwölften Lebensjahr ebenfalls nicht darauf zugreifen, lediglich WhatsApp war mit Beginn der weiterführenden Schule erlaubt, nachdem die ersten Klassenkameraden begonnen hatten, sich darüber auszutauschen. Es gab sogar Klassengruppen mit Lehrern, die ich immer wieder vor Ihren Handlungen erfolglos warnte.

Ich habe viel mit unserem Kind darüber geredet und ihm alles erklärt, auch warum ich was verbiete und warum nicht. Alles pauschal zu blocken ergibt eben auch keinen Sinn, wenn es 99 Prozent der Klassenkameraden nutzen – einen Aussenseiter wollte ich auch nicht aus ihm machen. Mir war auch klar, dass der Besuch sozialer Netzwerke bei Freunden möglich war und das auch gemacht wurde. Aber wenn alle Eltern die nötige Medienkompetenz und das erforderliche Know-how gehabt hätten, wäre die Kette der Verbote ausreichend stark und ein Zugriff auf die sozialen Netzwerke eben nicht möglich gewesen. Weil das bei keinem Klassenkameraden funktioniert hätte. Wo also liegt das Problem? Richtig, bei den Eltern.

Die Ausreden, dass das alles zu kompliziert ist oder die Eltern das nicht verstehen würden, habe ich immer wieder gehört. Witzigerweise konnte mir jeder Erwachsene mit den gleichen Ausreden erklären, warum er wieviel Geld wo angelegt und was er alles versichert hat und welche Versicherungen er als unnötig erachtet. In einigen Ausführungen dazu konnte ich noch was lernen und mich sogar beraten lassen. Keiner der Personen war aber Banker oder Versicherungsfachmann, sie hatten sich lediglich damit auseinandergesetzt, weil sie es für wichtig hielten. Den Rest kann ich mir jetzt sparen, oder?

Eltern sind für Kinder eine Instanz. Was sie sagen, ist die absolute Wahrheit und wird nicht bezweifelt. Belügen wir unsere Kinder also besser nicht und widmen uns dem, was sie benötigen und halten das fern, was ihnen schaden kann. In dem Zusammenhang kann man sich auch gut mit den Grundbedürfnissen von Kindern – auch den psychologischen – befassen. Die Kinder werden es später danken. Und wenn man den Kindern ausreichend Vertrauen schenkt, das geht auch mit zur Erziehung nötigen Verboten, und sich richtig um sie kümmert, werden sie einem auch dann seltsame Vorkommnisse anvertrauen.

Abschließend bleibt noch zu erwähnen, dass man einen Personalausweis erst mit Vollendung des 16. Lebensjahrs bekommt und sich auch erst dann richtig im Internet ausweisen kann. An alle Datenschutzextremisten sei an dieser Stelle gesagt, die Informationen, die über den Ausweis an die Anbieter offiziell weitergegeben werden, haben die schon längst.

Zurück zur "übelsten Jauchegrube"

Lasst mich es mit den Worten von Ferdinand von Schirach sagen, und zwar ganz einfach und deutlich: "Wir haben dort [in den sozialen Medien] eine Jauchegrube von übelsten Beleidigungen, Schrecklichkeiten und Menschenzerstörungen." Laut von Schirach wäre neuen Erkenntnissen zufolge der Brexit ohne die sozialen Medien nicht möglich gewesen und auch Donald Trump wäre ohne sie nicht dort, wo er sich gerade befindet.

Während Trump mit den sozialen Medien seine wirtschaftliche und politische Position retten konnte, haben andere durch die Verbreitung von Falschinformationen Kriege legitimiert und begonnen. Aber selbst junge Menschen, die nicht mal prominent sind, können durch die sozialen Netzwerke innerhalb kürzester Zeit regelrecht zerstört werden. Das Internet besteht aus mehr, als nur den sogenannten sozialen Plattformen. Der Hinweis in einem weiteren Artikel der Autorin zum Tod der sozialen Medien bringt den Grundsatz des freien Internets und der daraus folgenden freieren und besseren Welt unmissverständlich in einen Zusammenhang. Soviel zur Expertise: Das Internet sind nicht die sozialen Netzwerke! Auch wenn viele das heute so sehen, wird es nicht zur Wahrheit.

Apropos Wahrheit: Für von Schirach sind die sozialen Netzwerke die größte Gefährdung der Demokratie, und das erklärt er an dem Beispiel von Orwells 1984. Musk und Zuckerberg etwa haben in den USA mit der Amtseinführung Donald Trumps auf nahezu sämtliche Faktenchecks verzichtet – alles unter dem Deckmantel der freien Rede und gegen die Zensur. Das gilt aber nicht für alle und am wenigsten für Politiker, die eine "andere" freie Meinung äußern. Ihnen wird blitzschnell Zensur vorgeworfen, auch von Elon Musk.

Natürlich müssen wir die Meinungsfreiheit als eines der höchsten Güter – ohne die es keine Demokratie gibt – hochhalten. Problematisch wird es jedoch, wenn die Wahrheit nur noch eine Meinung ist.

"George Orwell hatte Recht"

In von Schirachs neuem Buch heißt es: "Vergangenheit lässt sich nicht verändern. Tatsachen gelten nicht. George Orwell hatte Recht."

Und weiter: Am Anfang waren es nur alberne Verschwörungstheorien. Die Mondlandung sei von Stanley Kubrick inszeniert worden, die Erde eine Scheibe, Elvis lebt – Hitler übrigens auch – und die Welt werde von Reptiloiden regiert, die sich als Menschen tarnen – darunter Barack Obama, Angela Merkel, die englische Queen. Dann wurde es ernster: Die Terroranschläge vom 11. September seien von der US-Regierung durchgeführt, den Menschen bei der Corona-Impfung heimlich Mikrochips implantiert worden. Die globalen Eliten würden die Zuwanderungsströme steuern, und Putin erklärte, die Ukraine sei ein von Nazis unterwanderter Staat, die einen Genozid an der eigenen Bevölkerung verüben wollen.

"Die sozialen Medien sind weitaus mächtiger, als das Wahrheitsministerium von Orwell je sein könnte. Mit einem Tastenklick werden dort heute Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern gemacht. Wahrheit ist nur noch eine Meinung – und man darf ja wohl auch anderer Meinung sein." "Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft machen wollen, stellen Sie sich einen Stiefel vor, der ein menschliches Gesicht zertrampelt – unaufhörlich. Diese Stiefel sind heute die sozialen Medien."

Inzwischen sind wir schon etwas weiter, als die Digital-Expertin der "ZEIT" scheinbar bereit ist zu begreifen. Wir müssen nicht nur unsere Kinder vor den sozialen Medien schützen, sondern auch einen Großteil der Erwachsenen. Ferdinand von Schirach hat sich in einer Sendung bei Markus Lanz zu einer Besteuerung der großen US-Big-Tech-Unternehmen geäußert: "Das mindeste, was man bei den sozialen Netzwerken machen müsste, wäre sie hoch zu besteuern. Und zwar wirklich hoch. Das wäre eine tolle Einnahmequelle und auch nicht schwer. Man kann neben den Werbeeinnahmen auch die Datenströme besteuern. Dieses Geld sollte verwendet werden, um den Menschen Medienkompetenz beizubringen." Daran sollte bitte auch Lisa Hegemann teilnehmen.

Quellen: