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Mensch & Technik

Musik – Im Kreuzfeuer zwischen Streaming und KI

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Alte Musikbox mit Vinyl-Single-Schallplatten

Musiker kannten früher nur einen Endgegner – die gierigen Plattenlabel. Inzwischen bekommen sie von den Streaming-Anbietern einige Cents pro Aufruf und Wiedergabe. Als sei das nicht genug, klopft mittlerweile auch Künstliche Intelligenz laut an die Tür.

"Musik ist Therapie, wir sind versteuerbar." So lautet eine Zeile der "Fantastischen Vier" in ihrem Song "Troy". Musik kann Einfluss auf die Stimmung nehmen, bei Entspannung oder Trauerbewältigung unterstützen, Mut geben und aufbauend wirken – aber auch runterziehen – sowie als Problemlöser dienen. Aus diesen Gründen ist Musik Bestandteil jeder Generation und überall auf der Welt. Egal, ob Musik-Kenner oder Nebenbei-Hörer, nahezu jeder hat sein Lieblingslied, vielleicht auch mehrere. Für andere ist etwa das Radio Alltagsbegleiter auf der Arbeit und in der Freizeit. Sicher ist: Keine Party ohne Musik! (Sonst ist es keine Party.)

Dass Musik Einfluss auf Menschen hat, wird wohl niemand bestreiten. Gute Partys standen und fielen früher schon mit dem Können des DJs und tun dies auch heute noch. Und fast überall läuft Musik: beim Barbier im Hintergrund, im Büro und in Werkshallen auf der Arbeit, im Restaurant und Fahrstuhl oder im Kaufhaus. Wie wichtig Musik ist und welchen Einfluss sie auf unser Gehirn hat, zeigt etwa die Musikpsychologie.

Musikpsychologie: So beeinflusst Musik dein Gehirn und dein Verhalten | Quarks Dimension Ralph

Über Musikgeschmack lässt sich streiten, genau wie über Politik. Beide sind ständige Begleiter und nehmen Einfluss auf uns – seit einer Ewigkeit. Fraglich ist allerdings der Wandel in der Musikvermarktung und Verbreitung. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als Musiker bei großen Musikkonzernen unter Vertrag standen und lediglich einen geringen Teil vom finanziellen Kuchen abbekommen haben. Die Plattenlabel verdienten sich an ihren Künstlern dumm und dämlich. Auch die Musiker verdienten am Plattenverkauf scheinbar aber ausreichend mit – ein gewisser Bekanntheitsgrad vorausgesetzt. Künstler, die in der Zeit groß waren, hatten eines Tages ausgesorgt. Siehe beispielsweise U2, Rolling Stones usw.

Kaum zu glauben – die 80er und 90er

Kleiner Exkurs: Ich erinnere mich an die Zeit, als Musik ausschließlich im Plattenladen erhältlich war. Das Internet für die Zivilgesellschaft war noch nicht erfunden. In den 80er Jahren stand ich im Plattenladen meines Vertrauens, dem Pressezentrum Salzmann, stöberte durch die Neuerscheinungen, die zu der Zeit noch übersichtlich waren, und hörte anschließend am dafür vorgesehenen Platz in die Alben rein. Selbstbedienung, versteht sich. Das bedeutet: Ich konnte den Plattenspieler selbst bedienen und hörte die Lieder über den angeschlossenen Kopfhörer. Die Kopfhörer benutzte übrigens jeder, nacheinander und ohne Reinigung oder Desinfizieren – heute unvorstellbar. (Haut)Krankheiten habe ich keine davongetragen. Wartezeiten gab es an den zwei Stationen selten. Wie es sich in den 80ern gehörte, stand in dem Plattenladen am Probehörplatz ein Aschenbecher bereit: Also Zigarette an (ja, mitten im Ladengeschäft), Platte aufgelegt, Kopfhörer aufgesetzt und Musik gehört. Schwer zu glauben, war aber so.

Das Pressezentrum Salzmann war übrigens auch eine "der bekannten Vorverkaufsstellen“ für Konzerttickets. Langspielplatten kosteten damals zwischen 13 und 18 D-Mark, Doppelalben um die 22 D-Mark. Konzerttickets gab es zwischen 20 und 40 D-Mark. Ausnahmen bestätigten auch damals die Regel. Hier liegt noch eine Konzertkarte der "ZooTV-Tour" von "U2", die ich im Juni 1992 in der Dortmunder Westfalenhalle mit meinen Kumpels besuchte, für 34 D-Mark im VVK (Vorverkauf). Später kaufte der Musikfan seine Vinyl-Sammlung noch einmal auf CD nach. Die Qualität der Musik war einfach besser. Auch wenn sich heute die vermeintlichen Experten darüber streiten. Exkurs Ende

Streaming – Der Anfang vom Ende guter Musik?

Dann kam irgendwann Streaming inklusive Flatrate. Für 16,99 EUR pro Monat kann aktuell die ganze "Familie" – bis zu sechs Personen – Apple Music nutzen. Das vergleichbare Spotify-Abo kostet 17,99 EUR für einen Monat. Spotify bietet sogar kostenlos Musik mit Werbeunterbrechung an. Auf Tidal, YouTube-Music und Co. gehe ich nicht ein, außer, dass man auf YouTube die Musik auch kostenlos hören und mit speziellen Tools runterladen kann. Laut den Künstlern fließt seit der Einführung von Spotify und Apple Music nur noch ein Bruchteil des Geldes in die eigene Kasse, der Rest bleibt beim Anbieter und den Plattenlabel hängen. Berichten zufolge zahlt Apple im Jahr 2025 im Durchschnitt 0,01 US-Dollar pro Stream – ein kurzes Anspielen eines Songs zählt nicht.

Das bedeutet, dass der Künstler bei 10.000 Streams etwa 100 US-Dollar bekommt … Das ist nicht okay! Persönlich bin ich auch der Meinung, dass die Künstler mittlerweile alles "raushauen", was irgendwann in einem Studio aufgenommen wurde. Bei manchen Songs denke ich gelegentlich, so etwas hätte es doch früher niemals auf ein Album geschafft. Statistisch erhöht das natürlich die Chance auf Klicks und Einnahmen. Hörbar ist vieles nicht mehr. Konzerttickets großer Bands sind kaum noch für unter 100 EUR zu haben – nach oben mit VIP-Zuschlag und Übernachtung gibt es keine Grenzen.

Ich als Boomer – der zu Beginn regelmäßig die Neuheiten bei Apple Music durchgehört hat, um neue Bands oder Interpreten zu finden (was nie funktioniert hat) – finde neue Musik, die mir gefällt, immer noch auf allen anderen Wegen, nur nicht über die Dienste. Selbst der Algorithmus hilft da nicht. Neue Interpreten finde ich im klassisch linearen TV auf 3sat etwa, wenn dort Konzerte übertragen werden. In den vergangenen Jahren habe ich neue Musik jedoch nahezu ausschließlich in Serien oder Filmen entdeckt – danke, Shazam.

Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch

Aber als sei das für die Künstler nicht alles schon negativ genug, klopft die Künstliche Intelligenz an. Mit einem Smartphone und den passenden Apps kann man heute schon brauchbare Musik produzieren, inklusive Text und Gesang. Das Makabere daran: trainiert wurden die KI-genannten Algorithmen mit Musik eben jener Künstler, die sich heute dagegen wehren müssen. Erschreckend finde ich, wie schnell sich die Technik entwickelt und was bereits alles möglich ist. Hier eine Auswahl, die ein Freund und dessen Bekannter mit seinem Smartphone erstellt haben – mal eben …

Costantino und sein Haupthaar (MP3)

Bernd, die Legende (WOW und Diablo) (MP3)

Plattenspieler und Vinyl – "Zurück in die Vergangenheit"

Inzwischen drehen sich die Uhren wieder rückwärts. Immer mehr Bands und Interpreten veröffentlichen ihre Musik auf Vinyl. Der Plattenspieler ist wieder in, und das ist vollkommen verständlich. Mit der Zeit sind Rituale verloren gegangen. Einfach mal Zeit nehmen und bewusst eine Langspielplatte hören – wie "früher". Im exakt zu den Lautsprechern ausgerichteten Sessel, aus dem man aufsteht, um die Platte zu wenden und die Side B anzuhören. Hochwertige Stereoanlagen finden in immer mehr Haushalten von Musikliebhabern Einzug und die Nachfrage scheint jährlich zu steigen, auch nach Langspielplatten aus Vinyl. Das schafft auch Übersicht und befreit von Unnötigem, Unhörbarem und Geschmacksfremdem.

Ich habe meine Plattensammlung von über 1.000 Schallplatten und fast ebenso vielen CDs vor einiger Zeit schon verkauft. Inzwischen steht in vielen Zimmern ein Apple HomePod oder HomePod Mini und beschallt mich – leider viel zu selten. Vermutlich fing alles mit dem Computer an. Als mir die ersten Festplatten voller „gerippter“ Musik von DJs und Freunden zugänglich gemacht wurden. Diese wurden sicher auf verschiedene Datenträger kopiert und wie ein Augapfel gehütet. Eines Tages löschte ich alles. Schon damals hätte meine Lebenszeit nicht ausgereicht, um jedes Musikstück dieser einen Festplatte nur einmal anzuhören – okay, die war groß. Allerdings sind die Streamingdienste noch größer. Apple verspricht mir 100 Millionen Songs. Total irre!

Ohne Musik geht es aber nicht und ich freue mich, wenn ich mal wieder auf etwas Neues stoße, das meinen Geschmack trifft. Gleiches gilt übrigens auch für die Film- und Serien-Streamingdienste Netflix, Amazon Prime Video, Disney+ und Co. Bedauerlicherweise gibt es beim Bewegtbild inzwischen ein katastrophales Durcheinander der unterschiedlichen Dienste. Den Film oder die Serie, die man just gerne sehen würde, läuft natürlich bei einem anderen Anbieter – von dem man noch nie etwas gehört hat. Aber dazu eines Tages vielleicht einmal mehr.